
Regenwald in Brasilien
Trockenheit im
Regenwald
Süddeutsche Zeitung, 5.09.2006
Zum zweiten Mal
in Folge gibt es im Amazonasgebiet zu wenige Niederschläge - Ökologen befürchten
globale Folgen
Von Jens Wieting
Im Amazonasgebiet sind die Flusspegel in
diesem Jahr stärker als gewöhnlich gesunken. "Die Niederschläge im Osten
und Süden lagen in den vergangenen Monaten unter dem Durchschnitt, so dass
wichtige Zuflüsse des Amazonas wie der Madeira weniger Wasser führen als
normal", sagt Renato Cruz Senna, Meteorologe des staatlichen
Amazonasschutzsystems. Das weckt schlechte Erinnerungen: Im vergangenen Jahr
waren gegen Ende der Trockenzeit im November Tausende von Siedlungen von der Außenwelt
abgeschnitten, weil viele Flüsse nicht mehr befahrbar waren, Millionen Fische
starben, Satellitenbilder zeigten zehntausende von Waldbränden.
In großen Teilen des Amazonasbeckens ist
es normal, dass in der zweiten Jahreshälfte mehrere Monate lang kein Regen fällt.
Die Regenwaldvegetation zehrt in dieser Zeit von Wasser, das im Boden
gespeichert ist. Offenbar wird das lokale Klima aber zunehmend durch Entwaldung
und globale Erwärmung gestört, so dass sich die Trockenzeit verlängert.
Die Folgen sich alljährlich
wiederholender Dürre für den Regenwald haben Wissenschaftler des Woods Hole
Research Institute in Massachusetts in einem Großexperiment gezeigt. Sie
deckten eine Regenwaldparzelle von einem Hektar Fläche in der Nähe der
brasilianischen Stadt Santarem mit Folien ab. Dann beobachteten sie
Stoffwechsel, Wachstum, Wasserhaushalt und andere Parameter der Pflanzen auf der
Versuchsfläche. Ergebnis: Im zweiten Jahr behaupteten sich die Bäume noch
gegen die Trockenheit, indem sie ihr Wachstum reduzierten und ihre Wurzeln zur
Wasserversorgung tiefer in den Boden trieben. Doch im dritten Jahr begann ein
Teil der Bäume abzusterben.
Einfluss auf den Treibhauseffekt
Zuerst fielen die
großen Exemplare, die dadurch den übrigen Bestand beschädigten und so das
gesamte Ökosystem für Erosion, Feuer und andere Gefahren empfindlicher
machten. Schon ein Wachstumsstopp des Regenwaldes, wie er in dem Experiment im
zweiten Jahr beobachtet wurde, hätte vermutlich Einfluss auf den
Treibhauseffekt. Denn Bäume, die kaum noch Photosynthese betreiben, entnehmen
nur noch wenig Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Eine Versteppung des
Regenwaldes, die am Ende der Austrocknung stünde, könnte nach Ansicht vieler
Wissenschaftler zu einem erheblichen zusätzlichen Anstieg der
Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre führen. Die in der Vegetation im
Amazonasbecken gespeicherte Kohlenstoffmenge entspricht einem Vielfachen der
alljährlich vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen.
Nach Ansicht von
Daniel Nepstad vom Woods-Hole-Institut und seinen brasilianischen Kollegen ist
die Entwaldung im Amazonasgebiet nahe einer kritischen Grenze, die das globale
Klimageschehen beeinflussen könnte. Im intakten Regenwald verdunsten große
Mengen Wasser. Die über dem Land aufsteigenden Luftmassen ziehen feuchtwarme
Winde vom Atlantik an, die für weitere Niederschläge sorgen und zur Abkühlung
des Ozeans beitragen. Die Abholzung des Regenwaldes und wärmere
Atlantiktemperaturen beeinträchtigen dieses Zusammenspiel. Trockenheit auf dem
Land und Erwärmung des Meeres sind die Folgen. Letztere begünstigt das
Entstehen starker Wirbelstürme. Ein Teufelskreis, der in den
Computersimulationen der Wissenschaftler eintritt, wenn die Hälfte des
Amazonasregenwaldes zerstört würde. Bisher sind knapp 20 Prozent des Waldes
abgeholzt, weitere 22 Prozent sind durch Holzeinschlag geschädigt und für die
zerstörerische Wirkung einer andauernden Trockenheit besonders empfindlich.
Damit sich die Wasserstände der Amazonaszuflüsse in diesem Jahr noch
normalisieren, müsste es überdurchschnittlich viel regnen.
|