Märkische Allgemeine, 20.07.2006

Fleckenkauz und Karibu vom Aussterben bedroht

Jens Wieting

Kanadas Wälder im Griff von Holzindustrie und Klimawandel / Neue Regierung in Ottawa stellt Kyoto in Frage

In Kanada steht mit einem bedrohten Wald auch die Artenvielfalt der Tiere auf dem Spiel. Die Holzindustrie schlägt zu schnell und zu viel Wald ein. Eine fast noch größere Gefahr droht aber durch den Klimawandel. Doch der Klimaschutz hat für die neue Regierung keine Priorität. Das dürfte sie wohl auch am vergangenen Wochenende beim G 8-Gipfel St. Petersburg unter Beweis gestellt haben.

Im Januar wurde in Kanada eine neue, konservative Bundesregierung mit dem Premierminister Stephen Harper an der Spitze gewählt, die dem so genannten Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz ablehnend gegenübersteht. Harpers politische Basis liegt in Alberta, dem Bundesstaat mit den reichsten Ölsand-Vorkommen der Welt neben denen Venezuelas. Bei den Verhandlungen über die Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls erklärte die kanadische Umweltministerin Rona Ambrose kürzlich in Bonn, das Land könne unmöglich die Vereinbarung einhalten und forderte für die Zukunft flexiblere Ziele. Schlechte Aussichten für die Urwälder Kanadas.

Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass der von Wissenschaftlern prognostizierte Klimawandel in Kanada bereits in vollem Gange ist. Im März gab der kanadische Wetterdienst bekannt, dass der jüngste Winter der wärmste seit Beginn der Messungen vor 60 Jahren war. Die Temperaturen lagen vier Grad über dem Schnitt. Damit wurden sechs der zehn Winterwärmerekorde in Kanada im vergangenen Jahrzehnt aufgestellt.

Den größten Schaden im Zusammenhang mit dem Klimawandel trifft den Wald im Landesinneren von British Columbia. Nach mehreren milden Wintern breitet sich dort der Kiefernborkenkäfer rasant aus und vernichtet mehr Bäume als Waldbrände und Holzindustrie zusammen. Auf einem Gebiet größer als Bayern verfärbt sich der Kiefernwald rot, das letzte Stadium, bevor die Nadeln von den Bäumen fallen und nur tote Baumstämme bleiben. In der Vergangenheit wurden die Vorkommen des Schädlings durch frühe Wintereinbrüche und lange Kälteperioden kontrolliert. In den letzten Jahren konnte sich das Insekt explosionsartig verbreiten.

Zusammen mit Abholzaktionen ergibt sich eine riesige Bedrohungen für viele Tierarten. Besonders viele Arten sind auf Urwaldbaumriesen, wie sie etwa auf Vancouver Island stehen, angewiesen. Doch nach Berechnungen von Umweltorganisationen werden bis 2019 alle Urwälder der Insel - bis auf die in den nur 13 Prozent einnehmenden Naturschutzgebieten - abgeholzt sein.

Erst in jüngster Zeit haben Forscher festgestellt, dass die Artenvielfalt in ihren Baumkronen vergleichbar ist mit der tropischer Wälder. Alleine im Bundesstaat British Columbia kommen demnach Zehntausende Arten von Insekten vor. Aber auch größere Tiere sind in Gefahr. Zu ihnen gehören der Marmelalk, ein im Urwald brütender Meeresvogel, das Kanadische Karibu und der Fleckenkauz. Letztere sind in Kanada dem Untergang geweiht: mit nur noch 22 Exemplaren erscheint ihr Schicksal dort besiegelt.