Plaza Mayor in Villa de Leyva

Nachrichten aus Kolumbien

Praktikum im Colegio Verde de Villa de Leyva, Kolumbien, Bericht zum Projekt mit praktischem Schwerpunkt, 5. Semester, Studiengang Landschaftsplanung, Technische Universität Berlin 1993

Jens Wieting

Inhalt

1. Nach Locombia
2. Organisation und Vorbereitung des Praktikums
3. Kolumbien - Landesdaten
4. Zum Jahr 1992 - die wahren Entdecker Lateinamerikas
5. Natur und Umwelt, Klimaveränderung?
6. Praktikum im Colegio Verde de Villa de Leyva, „Umweltschutz, kennen die das hier überhaupt?“
7. Literaturhinweise

Fotoseiten: 
Ökosysteme Kolumbiens
Flora und Fauna Kolumbiens

1. Nach Locombia

Leicht war mir die Entscheidung nicht gefallen, dem nach zwei Jahren so schön geregelten Leben in Berlin den Rücken zu kehren. Aber letztlich gab es nur eine richtige Wahl, denn der Mut sich in ein anderes Land zu begeben, wird fast immer mit intensiven Begegnungen und Erlebnissen, neuen Freundschaften und Erfahrungen belohnt, so wie es auch mir ergangen ist. Vielleicht habe ich nicht so viel gelernt, was ich in deutschen Büros brauchen kann, aber das Leben in einem anderen Land, sogar auf einem anderen Kontinent kann keine Institution in Deutschland vermitteln und so lernte ich täglich Sprache, Kulturen, Ansichten und vor allem Menschen und mich selbst in einer anderen Umwelt kennen. Kolumbien ist mindestens so magisch wie die Bücher von Gabriel Garcia Marquez und wer eine Weile dort lebt, hält bald alles für möglich.

In Villa de Leyva lernte ich das alltägliche Leben in einem der interessantesten Orte des Landes kennen. Während meines Praktikums wurde mir klar, dass Umweltschutz einen anderen Stellenwert in der kolumbianischen Gesellschaft besitzt und ich machte gute und schlechte Erfahrungen in meiner Praktikumsstelle. Ich lernte die sozialen und ökologischen Probleme der Region kennen und konnte in verschiedenen Bereichen arbeiten. Es blieb Zeit einen Teil der großartigen Natur Kolumbiens zu erleben und die Gründe für ihre Gefährdung zu erfahren. Mit Staunen erfuhr ich wie stark Kolumbien noch heute, 500 Jahre nach der Conquista, von seiner ursprünglichen indigenen Bevölkerung geprägt ist und welche beeindruckenden Spuren sie hinterließen.

Anderswo macht Kolumbien vor allem Schlagzeilen der Gewalt: Drogenmafia, Guerilla und staatliche Übergriffe sorgen dafür. Aber das Land ist groß und Unruhe bricht zur Zeit nur selten und in wenigen Teilen des Landes aus. Spätestens als ich hörte, dass in Mölln Türken verbrannten, wurde mir klar, dass mein Land nicht weniger gewalttätig ist und das mit einem in Kolumbien unbekannten Motiv: Fremdenhass. Die Nachrichten aus Deutschland erregten auch Aufsehen in Kolumbien. Dort sind es die Drogenmafia und die Guerilla, die Gewalt ausüben, bei uns kommen die Mörder aus der Nachbarschaft.

Trotz aller Gewalt, die Kolumbianer lieben das Leben. Als ich von Ecuador nach Kolumbien kam, las ich es auf einem Stein am Straßenrand: „Yo quiero la vida“ - Ich liebe das Leben. Leben in Kolumbien ist extrem, Mann oder Frau, jung oder alt, arm oder reich, gut oder böse, alle leben intensiv. Doch das ist nur ein hilfloser Versuch, diesem Land, das seine Bewohner oft Locombia (loco - verrückt) nennen, gerecht zu werden, denn es hat ungefähr 30 Millionen Gesichter und ist dreimal so groß wie Deutschland, von den Stränden des Atlantiks und Pazifiks bis zu den Schneegipfeln der Anden.

2.Organisation und Vorbereitung des Praktikums

Praktikumsstelle
Meine Entscheidung für ein Praktikum in Lateinamerika ergab sich dadurch, dass ich nach dem Abitur drei Monate Ecuador bereist hatte und gerne wieder dorthin oder in ein benachbartes Land gehen wollte. Bei der Suche nach einer Praktikumsstelle konnte ich auf die Adressen meiner Vorgänger zurückgreifen. Neben dem Colegio Verde interessierte ich mich auch für die Organisation Herencia Verde und die Nationalparkverwaltung INDERENA, alle drei Institutionen boten mir ein Praktikum an. Ich entschied mich für  Villa de Leyva, da ich die Aktivitäten des Colegio Verde interessant fand und schon in den beiden vergangenen Jahren Studenten aus Berlin dort gearbeitet hatten. Meine Vorgänger hatten zwar gemischte Erfahrungen gemacht, doch ich entschloss mich unvoreingenommen mein Praktikum zu beginnen.

Sprache
Ohne Spanisch keine Chance! Fremdsprachenkenntnisse sind selten in Kolumbien. Ich habe nie so gut eine Sprache gelernt wie während zweier Familienaufenthalte verbunden mit Unterricht in Quito 1989 und zur Auffrischung vor dem Praktikum. Dieses Angebot besteht in vielen lateinamerikanischen Städten, wo sich Touristen aufhalten und es lohnt sich, dafür einige Wochen zu planen. Es ist ein guter Einstieg in das Land und hält einen davon ab, zuviel Zeit mit anderen Touristen, mit denen die Verständigung einfacher ist, zu verbringen.

Geld & Flug
Meinen Aufenthalt habe ich selber finanziert, für den Flug habe ich einen Zuschuß von 900,-DM vom DAAD erhalten (Vordrucke und nähere Informationen im TU-Hauptgebäude). Lohn habe ich wie erwartet nicht bekommmen, das hatte den Vorteil, dass ich meine Aufgaben mitbestimmen konnte. Auch brauchte ich weit weniger Geld zum Leben als in Berlin.
Für den Flug gibt es verschiedene Möglichkeiten (Fluglinien, Routen, Gültigkeit). Halbjahres- und Jahresflüge sind zunehmend weniger im Angebot und teurer. Den Rückflug in Kolumbien zu kaufen, ist aber teurer als in Deutschland. Rechtzeitig viele Angebote zu vergleichen kann eine Menge Geld sparen.

Impfungen
Beratung und Impfungen im Landesinstitut für Tropenmedizin, Engeldamm 62, O-1020 Berlin. Üblich sind Impfungen gegen Gelbfieber, Typhus, Tetanus, Polio, Diphterie und (in ihrer Wirksamkeit umstrittene) Gammaglobuline zur Steigerung der Abwehrkräfte gegen Hepatitis-A. Malaria kommt nur in wenigen Tieflandregionen vor und hier kann man sich mit Moskitonetz schützen. Ich habe keine Malaria-Prophylaxe (mit Nebenwirkungen) genommen.

Aufenthaltsgenehmigung

Grundsätzlich ist ein Aufenthalt bis zu 6 Monaten ohne Visum möglich. Check nach Rückflugticket und Reisekapital denkbar, ich habe aber nie davon gehört. Nach drei Monaten muss die Aufenthaltserlaubnis im Reisepass bei der Immigrationsbehörde (DAS) verlängert werden, die Bedingungen (ein kleines Entgelt) können unterschiedlich ausfallen, ich war mit etwa 30 DM für weitere drei Monate dabei. Möglicherweise lassen sich auch längere Aufenthalte so "finanzieren", aber die Willkür hat gesetzliche Grenzen. Immer als Status Tourist angeben, Arbeit schöpft Verdacht wegen eventuellem Einkommen. Es besteht schließlich noch die einfache, aber etwas aufwendige Variante, das Land kurz zu einem Abstecher zu verlassen (Ecuador ist als Reiseland dafür eher zu empfehlen als Venezuela) und bei der Einreise erneut drei Monate im Pass zu erhalten. Böse Überraschung war für mich die inzwischen erhöhte Flughafensteuer bei der Ausreise (etwa 60 DM für 6 Monate). Man sollte immer eine Reserve von etwa 100 DM in Dollar oder Landeswährung für solche Fälle haben.  

3. Kolumbien - Landesdaten

Lage: 66°-79° westl. Länge/ 12° nördl. - 4°südl. Breite.

Kolumbien liegt im Nordwesten Südamerikas zwischen der Karibik im Norden und dem Pazifik im Westen. Das Land grenzt im Nordwesten an Panama, im Nordosten an Venezuela, im Osten an Brasilien, im Süden und Südwesten an Peru und Ecuador.

Fläche: 1 138 914 qkm.

Geografie: Nördlich Ecuadors teilen sich die Anden in drei Bergketten: die Westkordillere (1095 km lang und 2000 m hoch), die Zentralkordillere (1000 km lang und 3300 m hoch) und die Ostkordillere (1200 km lang und 2600 m hoch), die alle nach Norden verlaufen. Zwischen den Kordilleren fließt im Westen der Cauca (1350 km) und im Osten der Magdalena (1538 km) An der Karibikküste erhebt sich die Sierra Nevada de Santa Marta mit dem höchsten Gipfel Kolumbiens, dem Bolivar (5775 m, höchstes Küstengebirge der Welt). Parallel zu der Ostkordillere liegt die Sierra de la Macarena, an der Grenze zu Panama das Baudó- und das Dariéngebirge. Wirtschaftlich entwickelt und am dichtesten besiedelt sind die Kordilleren und Teile der Karibikküste. Die Urwälder an der Pazifikküste im Osten, das Savannengebiet der Llanos und das Amazonasgebiet im Westen sind kaum erschlossen.

Klima: Kolumbien hat wegen seines differenzierten Reliefs kein einheitliches Klima. Die Temperatur ist abhängig von der Höhenlage und nimmt im Durchschnitt um 4°C/1000 m  ab (Bogota 2600 m, 14 °C). Jahreszeiten gibt es nicht, Regen- und Trockenzeiten fallen regional in verschiedene Zeiten des Jahres.

Städte: Hauptstadt Bogota 4,8 Mio, Medellin 1,6 Mio, Cali 1,6 Mio, Barranquilla 1 Mio, Cartagena 0,6 Mio, Cucuta 0,4 Mio E.

Bevölkerung: Etwa 34 Mio. Einwohner (29,5 E/qkm), 58% Mestizen, 20% Weiße, die überwiegend die Oberschicht ausmachen, 14% Mulatten, 4% Schwarze, 3% Zambos und knapp 2% Ureinwohner. 95% sind katholisch.

Politik: Präsidiale Republik (seit 1886), Staatsoberhaupt und Regierungschef: seit 1990 Cäsar Gaviría Trujilo, PL (Liberale), Parlament (161 Sitze): PL: 86, ADM 19 (Linke):18, NFD (Neue Demokr. Kraft: 17, MSN/PSC (Konservative): je 14, Sonstige: 12.

Soziales: Urbanisierung 70%, Alphabetisierung 83%, Einw. pro Arzt 1079, Lebenserwartung: Männer 66, Frauen 72 Jahre

Wirtschaft: BSP pro Einwohner 1991: 1533 Dollar, Arbeitslosenquote 1991: 9,6%, Inflationsrate 27%, Verschuldung 1988: 15 Mrd. Dollar.
BIP-Entstehung: Dienstleist. 51%, Industrie 32%, Landwirtsch. 17%,
Erwerbstätigkeit: Dienstleist. 54%, Ind. 29%, Landwirtsch. 17%
Hauptexportgüter: Kaffee 18%, Erdöl 17%, Kleidung 10% (Kokain taucht in keiner Statistik auf!)
Hauptabnehmerländer: USA 42% BRD 11 %, Japan 4%
Hauptimportgüter: Zwischenprodukte 46%, Kapitalgüter 39%, Kosumgüter 10%
Hauptlieferländer: USA 34%, Chile 9%, Japan 9%

4. Zum Jahr 1992 - Die wahren Entdecker Lateinamerikas

Aus dem Goldschatz im Museo de Oro

„Es hat keine Entdeckung in Amerika stattgefunden, es gab nichts mehr zu entdecken. Alles, was es hier gibt, hatten wir bereits entdeckt. Wir sind mit dem Wort Entdeckung genauso wenig einverstanden wie mit dem Terminus es hätten sich zwei Kulturen getroffen. Man muss von einer Invasion der Europäer in unsere Kulturen sprechen. Wir haben die Folgen dieser Invasion am eigenen Leib erfahren. Viele unserer Kulturen sind ausgerottet worden.“
Leonardo Viteri, Confederación Nacional de Indígenas del Ecuador

Das heutige Kolumbien war das Eingangstor für die Völker, die den südamerikanischen Kontinent von Nord- und Zentralamerika aus vor Jahrtausenden besiedelten. Die ältesten archäologischen Funde bei Cartagena stammen etwa von 3000 v.Chr. Im Gegensatz zu den großen Kulturen der Azteken und Inkas, die große Einflussgebiete hatten, existierten in Kolumbien viele Kulturen relativ kleinräumig nebeneinander. Die Bedeutendsten waren die Tayrona, Sinú, Muisca, Quimbaya, Tolima, Calima, Tierradentro und San Augustin. Von den wenigen Zeugnissen dieser Kulturen ist der Goldschmuck und andere Kunstwerke, die eine sehr hohe handwerkliche Qualität zeigen in dem beeindruckenden Museo de Oro (Goldmuseum) in Bogota zu sehen. Einige Vitrinen sind mit Lupen ausgestattet, um die Feinheiten der Metallarbeiten überhaupt in ihrer ganzen Schönheit erkennen zu können. Sehr bekannt geworden ist San Augustin, wo viele bis zu mehreren Metern hohe Steinfiguren einer Kultur, die bereits vor der Ankunft der Spanier verschwunden war, zurückblieben und Tierradentro, ein Ort, der viele unterirdische bemalte Grabkammern aufweist.

Welche hohe Entwicklung diese Völker erreicht hatten, als ihr Fortbestand durch die europäische Invasion auf gewaltsame Weise beendet wurde, lässt sich an den Spuren der Tayrona-Kultur in der Sierra Nevada de Santa Marta ahnen. Erst 1976 wurde hier die Ciudad Perdida, die „Verlorene Stadt“, in den entlegenen von Urwald bedeckten Bergen von Grabräubern entdeckt. Auf einer Fläche von etwa 2 qkm war hier bis zur Ankunft der Spanier das Zentrum einer ausgedehnten, besiedelten Region, die von den Schneegipfeln bis zu der Karibikküste reichte. Insgesamt existierten etwa 2000 km mit Steinen befestigter Wege und Hunderte von Siedlungen, deren steinerne Fundamente, Treppen und Wege heute noch zu finden sind. Die Tayrona nutzten die natürlichen Ressourcen der gesamten Region bis zum Meer, von dem sie Meerestiere, Salz und den Kalk der Muscheln zum rituellen Kauen von Koka-Blättern benötigten.

Christoph Columbus erreichte nie Kolumbien, es war sein Gefährte Alonso de Ojeda, der 1499 an die Karibikküste nahe der Sierra Nevada de Santa Marta gelangte. Der Reichtum an Gold der Ureinwohner gebar den Mythos von El Dorado, dem unermesslichen Goldschatz. Auf der Jagd nach ihm wurden fast alle präkolumbianischen Kulturen verfolgt und ausgerottet. Die Kultur der Tayrona hörte nach etwa 1000jähriger Dauer auf zu existieren. Ihre Nachfahren, die Koguis und Arhuacos, haben viel von ihrer Kultur bewahrt. Sie besitzen das unschätzbare Wissen der medizinischen Wirkungen der Pflanzen des Urwalds und des Umgangs mit der Natur. Noch heute leben über 80 verschiedene ethnische Gruppen in Kolumbien. Erst in den 80er Jahren kamen die Nukak-makú im Amazonasgebiet in Kontakt zur kolumbianischen Zivilisation. Viele von ihnen starben an den Masern. Ihre Zukunft ist ungewiss.

5. Natur und Umwelt

Ökosysteme und Artenvielfalt

Aufgrund seiner besonderen Lage äquatorial nahe der Landbrücke zwischen den beiden amerikanischen Kontinenten vereinigt Kolumbien auf seiner Landesfläche eine Vielzahl verschiedener Ökosysteme und die höchste Artenvielfalt der Welt. Die wichtigsten Lebensräume eingeteilt nach der Höhenlage sind der tropische Regenwald, der subandine und andine Wald und die Paramo zwischen der Baumgrenze und der Zone des ewigen Schnees. Kolumbien umfasst 0,8% der Landfläche der Welt, aber 10% aller Arten von Lebewesen der Welt kommen hier vor. Bis heute wurden etwa 1,5 Mio. Arten von Lebewesen auf der Welt beschrieben. Schätzungen gehen davon aus, dass es ca. 20 Mio. Arten gibt und täglich 30 - 300 Arten ausgerottet werden. In Kolumbien gibt es etwa 55000 Pflanzenarten (davon etwa ein Drittel endemisch und 2000 medizinisch von Bedeutung) und 3000 Landwirbeltierarten (359 Säugetier-, 1721 Vogel-, 407  Amphibien-, 338 Reptilienarten). Zum Vergleich: auf dem afrikanischen Kontinent gibt es insgesamt 30000 Arten. Etwa 50% aller Arten der Welt existieren in den tropischen Regenwäldern, diese Artenvielfalt ist akut bedroht: 1982 gab es noch 10 Mio qkm tropische Wälder, in den folgenden 5 Jahren wurden 100.000 qkm zerstört. Ursprünglich war Kolumbien zu 75% mit Wäldern bedeckt, heute ist es weniger als die Hälfte des Landes.

Nationalparks

Das Instituto Nacional de los Recursos Naturales Renovables y del Ambiente (INDERENA) verwaltet 42 Schutzgebiete (33 Nationalparks) mit einer Fläche über 90000 qkm (etwa 8,5% der Landesfläche), die die ökologische Vielfalt des Landes repräsentieren. Die Ausweisung  der Schutzgebiete garantiert allerdings keinen wirksamen Schutz, INDERENA beschäftigt nur 280 bezahlte Arbeitskräfte, mit anderen Worten eine Person wacht über 30.000 ha. Dabei sind die Probleme immens, 35% der Flächen der Schutzgebiete befinden sich noch in Privateigentum, weitere 20% wurden besiedelt, bevor der Schutzstatus eingerichtet wurde und 10% sind von Siedlern besetzt. In vielen Gebieten operieren Guerillagruppen, die Drogenmafia und paramilitärische  Gruppen,  kleinkriegführende  Landbesitzer und Konflikte zwischen Ureinwohnern und Siedlern schaffen weitere Probleme.

Umweltpolitik

Es bestehen zahlreiche Gesetze zum Schutz der Umwelt in Kolumbien. Die schwerwiegenden Umweltprobleme entstehen abgesehen von den sozioökonomischen Ursachen durch Vollzugsdefizite wie mangelnde Kontrolle und Korruption. 1991 wurde Umweltschutz in der Verfassung aufgenommen, es existiert ein Nationaler Umweltplan und ein Umweltministerium soll eingerichtet werden. Den ökonomischen Ursachen der Umweltzerstörung wird allerdings kein Einhalt geboten, die neoliberale Regierung Gaviria verfolgt ebenso wie die Regierungen in Bolivien, Peru und Ecuador eine weltmarktorientierte Politik der Öffnung, die die reichen natürlichen Ressourcen der Andenländer schutzlos preisgibt, was vor allem an den Aktivitäten der Erdölmultis in den tropischen Regenwaldgebieten, in denen noch viele Völker der Ureinwohner um das Überleben kämpfen, deutlich wird. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Schließung des letzten Teilstücks der Panamericana zwischen Nord- und Südamerika quer durch einen der unberührtesten Urwaldwinkel der Welt, den Choco Kolumbiens, der „megadiverse“ Artenvielfalt beheimatet. Offen ist bis jetzt die Frage, welcher der beiden Kontinente wirtschaftlich mehr von dieser Verbindung profitieren wird - der reiche Onkel Sam oder sein Hinterhof?

Klimaveränderung?

Angeblich wegen einer Verlagerung des Pazifikstroms El Nino fielen im vergangenen Jahr nur wenig Niederschläge in Kolumbien. Da 80% des Stromes mit Wasserkraft erzeugt wird und die Kraftwerke sich in einem schlechten Zustand befinden, wurde im ganzen Land der Strom rationiert, vielerorts bis zu neun Stunden täglich. Der wirtschaftliche Schaden wird auf mindestens eine Milliarde. Dollar geschätzt. Auch wenn eine Ursache in Fehlplanungen und Skandalen in der Energiewirtschaft liegt, so wurden diese Fehler doch erst in der Dürre offensichtlich. Nicht nur in Kolumbien hat 1992 das Klima verrückt gespielt. Im mittleren Osten gab es den kältesten Winter der letzten 40 Jahre, Afrika litt unter der schlimmsten Dürre des letzten halben Jahrhunderts, in Australien fiel der Sommer aus, der Winter war der kälteste der letzten 140 Jahre.

In Teilen der USA war es der heißeste Sommer der letzten 97 Jahre. In vielen Ländern Zentralamerikas, in Peru und Ecuador, aber auch in Nigeria und Zambia, mußte ebenfalls Wasser und Strom rationiert werden („Semana“, „Cuando calienta el sol“, Junio 30, 1992). Die Häufung von extremen Klimaereignissen ist auffällig und verstärkt den Verdacht, dass die befürchteten Klimaveränderungen durch den Treibhauseffekt sich bereits ankündigen. Es sind nicht nur die Güter der Welt ungerecht verteilt, auch die Lasten sind ungleich. Während die Bevölkerung der Industrieländer, eine Minderheit der Weltbevölkerung, etwa 80% der gobalen Kohlendioxidemissionen, die maßgeblich für den Treibhauseffekt verantwortlich sind, verursacht, werden die Folgen vor allem die Menschen in den Entwicklungsländern betreffen. Die Trockenheit in Kolumbien 1992 hat einen Vorgeschmack auf die möglichen Folgen von Klimaveränderungen gegeben.

Folgen der Trockenheit in der Provinz Alto Ricaurte, Oktober 1992

6. Praktikum im Colegio Verde de Villa de Leyva

Der Ort: Villa de Leyva - Ort mit viel Energie

Villa de Leyva, im Zentrum des Landes in dem historisch bedeutenden Bezirk Boyaca gelegen ist in etwa vier Stunden von der Hauptstadt Bogata aus erreichbar, eine kurze Fahrzeit gemessen an den Dimensionen des Landes. Die außergewöhnliche Schönheit des Ortes und seine leichte Erreichbarkeit ziehen viele Touristen aus dem In- und Ausland an. Wer von Tunja, Hauptstadt Boyacas, den letzten Teil der kurvenreichen Andenstrecke zurücklegt, wird vielleicht überrascht sein von der zerklüfteten, erodierten Landschaft - nicht so grün wie man sich Südamerika gerne vorstellt und wie es auch hier einmal war.

Vor Ankunft der spanischen Conquistadores war diese Region von Wald bedeckt, denn die ursprüngliche Bevölkerung, das Volk der Muiscas wusste die natürlichen Ressourcen zu nutzen, ohne sie zu zerstören. Heute sind nur noch Reste von andinem Wald in der Ostkodillerre Kolumbiens vorzufinden, so im Schutzgebiet Iguaque bei Villa de Leyva, benannt nach der Lagune, aus der nach der Mythologie der Muiscas die Menschheit stammt. Es scheint kein Zufall zu sein, dass dieser besondere Ort Kolumbiens hier entstanden ist, wo es „viel Energie“ gibt, wie die Leute sagen.

Vor 140 Millionen Jahren existierte ein Binnenmeer in diesem Raum, dass so zahlreiche Fossilien hinterließ, dass damit die Fußböden in den Klöstern gepflastert wurden. Villa de Leyva wurde 1572 gegründet und am 4. Oktober 1812 fand hier der erste Kongress der Vereinigten Provinzen von Nueva Granada statt. Bis heute leben viele bedeutende Politiker, Künstler und Geistliche an diesem Ort. Villa de Leyva wird als nationales Monument geschützt und erhalten, Häuser, Straßen und Plätze haben sich kaum verändert

An Wochenenden und Feiertagen ist das Ortsbild von Touristen geprägt, die eine wichtige Erwerbsquelle für die Einwohner darstellen. Jeden Samstag ist auch der Marktplatz voller Leben, wenn alle Bauern der Region hier ihre landwirtschaftlichen Produkte verkaufen. Unter der Woche aber ist nur wenig Bewegung im Dorf und das ruhige Leben unter dem weiten Andenhimmel hat einen ganz besonderen Reiz.

Markt in Villa de Leyva

Die Organisation: Das Colegio Verde - Grünes Zentrum in Kolumbien?

1987 wurde das Colegio Verde in Villa de Leyva mit der Absicht gegründet, das Zentrum einer grünen Bewegung zu bilden, das der Umweltzerstörung begegnet. Vorsitzende der Non Government Organisation (NGO) ist Margarita Marino de Botero, wohl die bekannteste Umweltschützerin Kolumbiens, vormals Generaldirektorin des Nationalinstituts für erneuerbare natürliche Ressourcen und Umwelt (INDERENA) und Mitglied in der Brundtland-Kommission der UN für Umwelt und Entwicklung. Die verschiedenen Projekte der Umweltbildung und Entwicklung werden überwiegend von ausländischen Entwicklungshilfeorganisationen finanziert.

Untergebracht ist die Institution in dem Convento San Fransisco, eine wunderschöne (leider baufällige) Klosteranlage mit einer Kirche, die bereits verschiedene andere Nutzungen hinter sich hat. Die Räumlichkeiten sind ideal für die Bücherei, die etwa 10000 Titel der Umweltliteratur, 300 Videos und weitere Medien umfasst. Außerdem können hier Kurse, Seminare und Konferenzen stattfinden. Auch das Herbarium, das die Pflanzenarten der Region dokumentiert, ist hier untergebracht. Der am weitesten entwickelte Bereich des Colegio Verde sind die Publikationen, neben einer Zeitschrift sind bereits mehrere Schriften die sich der Umweltplanung und Umwelterziehung widmen, herausgebracht worden.

Seit 1990 betreibt das Colegio Verde mit Unterstützung der Welthungerhilfe ein Projekt der ökologischen Landwirtschaft mit den Schwerpunkten Bodenschutz und Erosionskontrolle in der von erheblicher Erosion betroffenen Provinz Alto Ricaurte, deren Einwohner hauptsächlich von der Landwirtschaft leben. Ziel ist es, die Lebensbedingungen der Campesinos in der Region zu verbessern. Das Projekt richtet seine Aufmerksamkeit auf die Ressourcen, von denen die landwirtschaftliche Aktivität der Kleinbauern abhängig sind. Mit etwa 30 Campesino-Familien, die zusammen etwa eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 60 ha bewirtschaften, versucht das Colegio Verde ökologische Verbesserungen sowohl durch Rückbesinnung auf Methoden der Ureinwohner und der bäuerlichen Tradition als auch durch neue Erkenntnisse alternativer Landwirtschaft zu erreichen.

Das Projektgebiet befindet sich in den Hochtälern der Ostkordillere Kolumbiens im Departamento Boyaca, in den Regionen, die historisch als die Provinzen Alto Ricaurte und Centro bekannt sind und hat eine Ausdehnung von 684 qkm. Die Höhen sind zwischen 2000 und 2800 m. Es umfasst die Gemeinden Sachic, Sutamarchan, Santa Sofia, Samac, Cucaita, Tinjaca und Villa de Leyva. Die mittlere Temperatur liegt zwischen 15 und 17°C, der mittlere jährliche Niederschlag bei 700 mm mit örtlichen Unterschieden. Einige Gebiete neigen wegen langer Trockenperioden und starkem Wind zur Desertifikation. Das ehemals bewaldete Gebiet, dass von den Spaniern in ein Kornanbaugebiet verwandelt wurde, weist heute eine Landschaft mit erodierten Bergen mit wenig oder keiner Vegetation auf.

Die beteiligten Campesinos, die kaum über Mittel verfügen, erhalten eine direkte Unterstützung in Form von Sachmitteln wie Werkzeugen, Saatgut und einheimischen Bäumen, die als Erosionsschutz angepflanzt werden. Weitere Maßnahmen des Erosionsschutzes wie Windschutzzäune und Terassierung, Bodenverbesserung durch Kompostierung organischer Abfälle, Mischkulturen statt Monokulturen und Verzicht auf chemische Düngung und Schädlingsbekämpfung stehen im Mittelpunkt der alternativen Landwirtschaft, die das Colegio Verde verbreiten möchte, um die intensive Landwirtschaft, die die Böden ruiniert hat, abzulösen. Als Experimentierfeld für die neue Form der Landwirtschaft dient die Granja Verde, die 3 ha umfassende Versuchsfarm, auf der verschiedene Kulturen, Kompostierung und Regenwurmzucht, Regenwasserauffangbecken und Bewässerungsmethoden erprobt werden. Das Programm umfasst ebenfalls die Erprobung und Anwendung angepasster alternativer Technologien, wie Wasserfilter, verbesserte Küchenherde, Werkzeuge etc.

Ein weiterer Schwerpunkt des Colegio Verde ist das Programm der andinen Artenvielfalt. Es umfasst im wesentlichen die Projekte Botanischer Garten und Herbarium, die die Pflanzen der Region repräsentieren. Viele Schulen haben mit dem Colegio Verde ein Arboretum angelegt, damit die Schüler die wichtigsten Bäume und ihren Nutzen kennen.

Bis heute ist das Colegio Verde mit Sicherheit noch nicht zum Ausgangsort einer grünen Revolution geworden. Umfang und Erfolg der Projekte sind eher bescheiden zu nennen angesichts der hier wie überall fortschreitenden Umweltzerstörung. Leider erweckt das Colegio Verde in seinen Veröffentlichungen oft Erwartungen, die hinter der Wirklichkeit zurückstehen. Diese Erscheinung scheint auf die Präsidentin der Organisation zurückzugehen, der die Institution eher als ein Prestigeobjekt auf internationaler Ebene wichtig zu sein scheint.

Die Granja Verde, umgeben von der erodierten Landschaft von Villa de Leyva

Das Praktikum: Rapidograph und Pinsel, Hacke und Spaten

Bei der Vorstellung im Colegio Verde wurde ich sehr freundlich aufgenommen und in die verschiedenen Arbeitsbereiche eingewiesen.In der ersten Zeit machte ich mich vor allem bei den alltäglichen Aufgaben wie Fahrdiensten und Bewässerungs- und Feldarbeiten auf der Versuchsfarm und im Botanischen Garten nützlich. Die körperliche Arbeit unter freiem Himmel war eine willkommene Abwechslung. Der Botanische Garten ist noch im Entstehungsprozess und Pflanzarbeiten, Bewässerung, Gestaltung und Pflege von Beeten, Wegen und Relief gehörten zu den anfallenden Arbeiten.Auf der Granja Verde pflanzte ich Bäume und verteilte Kompost, half säen und baute Windschutzzäune.

Ich fand schnell heraus, dass ich in einem ausgewogenen Verhältnis Hilfsarbeiten und besondere Aufgaben ausführen konnte und außerdem Zeit hatte, das Informationsangebot des Colegio Verde zu nutzen. Meine erste Aufgabe war ein Plan für einen kleinen Campingplatz mit Klohäuschen, den wir gleich darauf in die Tat umsetzten. Als nächstes brachte ich die Versuchsfarm zu Papier, um Besuchern einen Überblick über die Aktivitäten auf dem Gelände zu ermöglichen. Doch im Botanischen Garten fehlte noch das Wichtigste: die Schilder. Also sägten wir Baumscheiben zurecht, die ich schwarz grundierte und dann mit dem spanischen und lateinischen Namen sowie dem Nutzen der Pflanze versah.

Hinzu kamen Schilder, die auf dem Gelände des Botanischen Gartens ökologische Probleme und auf der Granja Verde die Projekte in der Art eines Lehrpfades beschrieben. Oft begleitete ich den Botaniker Manuel Galvis bei Führungen in den Projekten des Colegio Verde und Exkursionen in das Schutzgebiet Iguaque, wo ich die andine Flora kennenlernte und für das Herbarium fotografisch festhielt. Mit dem Agronom Fabriciano Otalaro besuchte ich die Campesinos, die an dem Projekt Ökologische Landwirtschaft beteiligt sind. Im Dezember besuchte ich den Umweltgipfel ECOMUNDO in Cali, der verschiedene Schwerpunkte der Umweltkrise näher beleuchtete. Wegen Organisationsmängeln war den Veranstaltungen allerdings schwer zu folgen. Ende Januar 1993 war das Colegio Verde Tagungsort des Seminars „Städtische Armut, Umwelt und Non Government Organisations in Lateinamerika“, zu dem Vertreter von NGOs aus Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Ecuador, El Salvador, Mexiko, Peru, Uruguay und Venezuela nach Villa de Leyva kamen. Die Arbeit der vertretenen NGOs richtet sich hauptsächlich auf die Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen der ärmsten Teile der Bevölkerungen. Die vielseitigen und interessanten Tätigkeiten gestalteten das Praktikum abwechslungsreich und lehrreich.

„Umweltschutz? Kennen die das hier überhaupt?“

So fragten zwei Schweizer Touristen, denen ich in Villa de Leyva von meinem Praktikum erzählte. Angesichts eines Ortes ohne Kläranlage und mit wilder Müllkippe entsteht wohl sehr schnell der Eindruck, dass wir die Umwelt besser schützen. Ein Gedanke, der nicht nur dumm ist, sondern auch falsch, denn wir in den industrialisierten Ländern sind es, die der Erde den Garaus machen. Der weitaus größte Teil der Umweltbelastungen, die globale Probleme verursachen, entsteht durch die Verschwendungssucht in den Industrieländern, in denen nur eine Minderheit der Weltbevölkerung lebt, von den Folgen betroffen sein werden vor allem die Länder der Dritten Welt. Auch die Vernichtung der natürlichen Ressourcen in den Entwicklungsländern begründet durch ein ungerechtes Weltwirtschaftssystem liegt letztlich in unserer Verantwortung. Wir leben den armen Ländern bis heute vor, was wir unter einem „entwickelten“ Leben verstehen: Autos, McDonalds und Atomkraftwerke. Viele Entwicklungsländern fordern dasselbe Recht auf Konsum und Verschmutzung. Wir haben es nach Jahrzehnten uneingeschränkten Konsums noch nicht begriffen: Wenn wir nicht mit dem Verzicht beginnen, wird es keine Rettung für diesen Planeten geben. Vielleicht ist dies meine wichtigste Einsicht aus Kolumbien: Hoher Lebensstandard heißt nicht hohe Lebensqualität.

7. Literatur

Corporación Nacional de turismo - Colombia

Cuadernos Verdes, Zeitschrift des Colegio Verde, Nr. 1-6

Dydynski, K., Colombia, South Yarra, Australia 1988

Ecoguías para el Municipio Colombiano, Colegio Verde 1992

Fischer Weltalmanach 1992

Gonzáles Posso, Andrés, Guía de una experiencia de agricultura ecológica en el Alto Ricaurte, Colegio Verde 1992

Galleano, E., Die offenen Adern Lateinamerikas, Wuppertal 1977

Harenbergs Länderberichte 1993/94

Hübener et. al. (Hg.), Weißbuch Lateinamerika, Wuppertal 1991

INDERENA, A Guide to the National Natural Parks of Colombia, Bogota 1989

Molano Barrero, Joaquín, Villa de Leyva - Ensayo de interpretación social de una catástrofe ecológica, Revista Ecológica Nr. 9, 10, 11/12, 13

Zeitungsmeldungen aus „El Tiempo“,  „El Espectador“, „Semana“ und dem Taz-Archiv