ROBIN WOOD-Magazin 2/2001

Der letzte Regenwald

Jens Wieting

Die Gemeinde Bonanza in Nicaragua versucht den Raubbau am Regenwald aufzuhalten

Melvin Pérez ist klein, rundlich und trägt einen Schnauzer wie fast alle Männer im Saal. Er ist verantwortlich für das Planungsbüro von Bonanza und er findet den richtigen Ton, wenn er mit den Bauern spricht. Das Bürgermeisteramt hat sie zu einer Versammlung nach Bonanza eingeladen. Einige müssen dafür zwei Tage über Berg und Tal laufen. "Wir wollen die Tiere und Pflanzen, das Klima, den Boden und die Bäche für unsere Nachkommen erhalten" erklärt Melvin. Dieser Gedanke war für die meisten Menschen in Bonanza bis vor kurzem vollkommen neu.

Vor dreißig Jahren hat Melvin als kleiner Junge in der nordamerikanischen Goldbergbau-Firma von Bonanza die Zeitung ausgetragen. Nach der Sandinistischen Revolution 1979 kämpfte er als Soldat gegen die Contra und verteilte als landwirtschaftlicher Berater Land und Kredite an die Bauern. Noch in den achtziger Jahren galt auch für ihn: Nur wer den Regenwald auf seinem Land beseitigt, ist ein guter Bauer und verdient Unterstützung. Heute sind Melvin und viele andere Nicaraguaner besorgt über die Umweltzerstörung. Erosion und Wassermangel wie im Westen des Landes drohen nun auch den letzten bewaldeten Regionen des Landes. Doch Melvin wird nicht müde, die Bauern zu warnen: "Was auf der Pazifikseite Nicaraguas geschehen ist, darf sich hier nicht wiederholen!"

Bonanza liegt in der Autonomen Nordatlantikregion Nicaraguas und ist eine von sechs Gemeinden, die das Biosphärenreservat Bosawas bilden. Ursprünglich lebten hier nur Mayangna- und Miskito-Indianer. Doch das größte Regenwaldreservat Zentralamerikas schrumpft stetig. Holz- und Goldfirmen suchen das schnelle Geld, Bauern und Viehzüchter verwandeln den Wald in Acker und Weide. Der Staat tut nicht viel für die Bevölkerung und kümmert sich kaum um den Naturschutz in diesem Gebiet.

Seit 1996 gilt im Land ein Umweltgesetz. Dieses legt fest, dass die Gemeinden einen Plan aufstellen müssen, wie sie ihr Land nutzen und die Umwelt schützen wollen. Das Thema ist neu für Nicaragua, es gibt noch keine Erfahrungen, keinen Leitfaden und keine Fachkräfte für diese Aufgabe. Dies gilt umso mehr für den dünnbesiedelten Osten Nicaraguas mit seiner schwindsüchtigen Verwaltungsstruktur. Das Umweltministerium und die Gemeinden im Raum Bosawas werden dabei von deutscher Seite unterstützt. In Bonanza und der Nachbargemeinde Siuna arbeiten Entwicklungshelfer für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED), das Umweltministerium in Managua wird von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) beraten.

Goldrausch

Bonanza erinnert mit seinen heruntergekommenen Holzhäusern mit Wellblechdächern sehr stark an die gleichnamige Western-Serie. Die Siedlung entstand vor etwa hundert Jahren mitten im Regenwald, als zum ersten Mal Gold in dem Gebiet gefunden wurde. Den ersten Goldsuchern von der Pazifikküste folgten nordamerikanische Bergbau-Unternehmen. Ende der zwanziger Jahre wurden die Minen von dem nicaraguanischen Volkshelden Sandino überfallen. Nach seiner Ermordung durch den Diktator Somoza war die Region bis zur Revolution 1979 fest in der Hand der ausländischen Firmen. Auf die Verstaatlichung durch die Sandinisten folgte nach dem Regierungswechsel 1990 wieder die Privatisierung.

Noch heute ist Bonanza von dieser Entwicklung geprägt. Strom- und Wasserversorgung, Müllabfuhr und Straßenreparaturen in der Gemeinde werden von der Bergbau-Firma Greenstone übernommen. Die Goldgewinnung hält den Ort am Leben. Mehrere hundert Menschen arbeiten in der Industrie und einige Tausend gehen zumindest hin und wieder mit der Waschpfanne oder einfachen Maschinen auf die Goldsuche. Rund um den Ort gibt es Tagebaue, Stollen und Tunnel. Der Industriebetrieb belastet die Umwelt mit Zyanid und Schwermetallen. Die Goldsucher arbeiten meist mit Quecksilber, das sich in der Nahrungskette gefährlich anreichert. Auf diesen Nebenerwerb will niemand verzichten. "Uns die Goldgewinnung zu verbieten wäre wie das Holzfällen, die Jagd oder das Fischen zu verbieten", sagt ein Goldsucher.

Etwa 16.000 Menschen leben in der Gemeinde, die mit 2000 qkm Fläche etwa so groß ist wie das Saarland. Noch gibt es saubere Bäche, noch sorgt der Wald für Regen und ein angenehmes Klima, noch gibt es Holz und jagdbare Tiere für alle in Bonanza. Doch in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Bevölkerung in der Gemeinde verdoppelt. Es sind überwiegend sehr arme Nicaraguaner aus dem Westen, die auf der Suche nach einem Stück Land einwandern.

Wald in Gefahr

Landwirtschaftsgrenze - "Frontera agricola" - heißt der voranschreitende Gürtel der Besiedlung, der sich immer enger um das Reservat zusammenzieht. Wald ist für viele Menschen gleichbedeutend mit Land. Fragt man einen Bauern, wozu der Wald dienlich sei, so erhält man oft die Antwort: "Para cultivar" - um etwas anzubauen. Die natürliche Vegetation stellt aus ihrer Sicht ein Hindernis für die Landwirtschaft dar und mindert den Wert des Landes.

Melvin nahm die Planungsarbeit vor drei Jahren mit Unterstützung der Umweltorganisation Centro Humboldt auf. Tagelang marschierte er mit einem Kollegen kreuz und quer durch das bergige Gemeindegebiet und hielt zum ersten Mal in der Karte fest, wo die Grenzen der Dorfgemeinschaften verlaufen.

Im Gegensatz zu den Mestizen, die nur Privateigentum kennen, besitzen die Mayangna-Indianer Gemeinschaftsland. Außerdem nutzen sie die Natur schonender als die Mestizen. Melvin und sein Begleiter verzeichneten 24 mestizische und 14 Mayangna-Dörfer im Raum Bonanza. Gleichzeitig hielten sie Daten über die Bevölkerung, ihren Lebenserwerb und die Infrastruktur fest.

Regeln für den Umgang mit der Natur

Danach taten sich die Dörfer zusammen, um in Gruppen mit dem Bürgermeisteramt zu diskutieren, wie die Natur besser geschützt werden kann. Bei einigen Themen wurde sehr schnell Einigkeit erzielt. So wurde in allen Dörfern verfügt, dass das Fischen mit Dynamit oder Gift verboten ist. Die Goldgewinnung an Gewässern, aus denen Trinkwasser entnommen wird, ist nicht erlaubt. Bei anderen Punkten entspann sich eine lange Diskussion mit unterschiedlichen Ergebnissen, z.B. bei der Frage, wann ein Hang so steil ist, dass er wegen der Erosionsgefahr nicht für die Landwirtschaft genutzt werden darf oder wie viel Meter Uferstreifen an Bächen und Flüssen geschützt werden müssen.

Aus der Diskussion ergab sich für jede Gruppe des Dorfes ein eigenes Umwelt-Regelwerk. Aus den vielen Ideen der verschiedenen Gemeindezonen, wie die Natur besser zu schützen sei, entwarf das Planungsbüro eine Gemeindesatzung über die Nutzung der Natur. Die Bauern sind zur Diskussion des Entwurfs nach Bonanza gekommen.

Zwar gibt es schon nationale Umweltgesetze, doch sind die bei der Bevölkerung der Atlantikküste gänzlich unbekannt. Da die Menschen nicht an der Erarbeitung dieser Gesetze beteiligt waren, interessiert sich auch niemand für ihre Einhaltung. Beamte und Polizisten drücken vielerorts beide Augen zu. Von großer Bedeutung für die Menschen der Atlantikregionen ist dagegen das Autonomiegesetz von 1987, da es die indianischen Kulturen berücksichtigt. In dem Gesetz heißt es, dass das Land, der Wald, Boden und Wasser kommunales Eigentum sind. Zwar kennen die Mestizen nur individuelles Eigentum, doch die Gemeinde versucht alle Dorfgemeinschaften zu überzeugen, sich für das gesamte kommunale Land verantwortlich zu fühlen.

An der Versammlung nimmt auch der Bürgermeister teil, die höchste Autorität der Gemeinde. Juan Saballos ist von kräftiger Statur und ein gewandter Redner. Vehement appelliert er an die Dorfvertreter, das gemeinsame Land der Dorfgemeinschaften besser vor weiterer Besiedlung zu schützen. "Das Land gehört euch, lasst es euch nicht nehmen, bewahrt die Natur für eure Kinder."

Bei der Diskussion des Entwurfs bleiben wieder die selben Themen strittig. Vor allem wenn es um das Verbot geht, den Wald abzubrennen. Viele Bauern möchten den Wald schützen, doch sehen sie zum Überleben keine Alternative zur traditionellen Landwirtschaft und der Brandrodung. Regelmäßig werden wertvolle Bäume ein Opfer der Flammen. In den Nachbarorten von Bonanza existiert bereits eine Holzmafia. Lastwagenweise passiert das Holz mit gefälschten oder unzureichenden Papieren die Straßen. Bonanza ist bisher kaum von der Holzplünderung betroffen. "Eigentlich ist unser Boden nur für die Forstwirtschaft geeignet, aber es gibt keinen Förster in Bonanza" erläutert Melvin.

Die Diskussion wird weitergehen, denn der Gemeinderat möchte keine Satzung gegen den Willen der Bauern verabschieden. Die neuen Regeln für den Umgang mit der Umwelt werden nur eingehalten werden, wenn alle Betroffenen von ihrem Sinn überzeugt sind und einen Vorteil darin erkennen.

Oft vernichten die Bauern mehr Wald als zum Leben notwendig. Obwohl sie noch keine umweltverträglichen Erwerbsformen kennen, können sie ihre Arbeitsweise verändern, um die Natur zu schonen. Damit sichern sie sich Wasser, Holz und Tiere für die Zukunft. Das neue Umweltbewusstsein infolge der Arbeit des Büros führt bereits zu kleinen Fortschritten. Der Bürgermeister ist jedenfalls überzeugt, dass die Satzung der Bevölkerung helfen wird, ihr Recht auf eine intakte Umwelt durchzusetzen. "Die Satzung wird ein Geschenk für Euch!" sagt Juan Saballos zum Abschluß der Diskussionsrunde.

Der Naturschutz in Bonanza steht noch ganz am Anfang. Um Alternativen zum Raubbau zu fördern, vor allem für die forstliche Nutzung, braucht die Gemeinde Unterstützung vom Staat. Dann könnte Melvins Arbeit zu einem Erfolg für die Umwelt werden. Über den Wäldern von Bosawas haben sich wie fast täglich am Nachmittag dicke Wolken gebildet. In Bonanza gießt es. Melvin liebt dieses Klima und er hasst Reisen in die Haupstadt Managua wegen der Hitze dort, "die haben so lange alle Bäume abgeholzt, bis sie eine Wüste hatten."