Politische Ökologie 88, Mai 2004

Wie geht es eigentlich den Tropenwäldern?

Raubbau am Äquator

Von Jens Wieting

Raubbau an Tropenwäldern ist schon länger kein Seite eins Thema mehr. Die Zerstörung hält jedoch unvermindert an. Korruption, global agierende Unternehmen und fehlende politische Rechte der lokalen Bevölkerung verhindern eine wirksame Bekämpfung. Besonders dramatisch ist die Lage derzeit vor allem in Indonesien.

Vor zwanzig Jahren häuften sich die Warnungen von Naturschützern, dass in nur wenigen Jahrzehnten die tropischen Wälder nahezu vollständig zerstört seien. Internationale Organisationen, Regierungen und Umweltgruppen machten mobil zur Rettung des Regenwaldes. Glücklicherweise wurden noch nicht alle Wälder rund um den Äquator vernichtet, ihr stetiger Rückgang ließ sich jedoch bisher nicht aufhalten.

Beinahe die Hälfte der globalen Waldfläche von knapp vier Milliarden Hektar liegt laut Statistik der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) in den Tropen. (1) Den jährlichen Verlust natürlicher Wälder in dieser Klimazone beziffert sie für das letzte Jahrzehnt mit 14,2 Millionen Hektar, während die Waldfläche außerhalb der Tropen geringfügig zunahm. Die FAO-Zahlen geben jedoch wenig Auskunft über den Zustand der Wälder, denn bereits Flächen mit einem Kronendeckungsgrad von zehn Prozent werden als Wald klassifiziert. Die drastischen Beeinträchtigungen durch Fragmentierung und Übernutzung der Wälder gehen aus diesen Zahlen nicht hervor. Relativ unberührt sind nur noch etwa 40 Prozent der tropischen Wälder und auch diese dürften voraussichtlich in wenigen Jahren zum größten Teil erschlossen sein. (2)

Etwa die Hälfte der tropischen Wälder befinden sich laut FAO in Lateinamerika, ein Drittel in Afrika und ein Sechstel in Asien. Am größten ist der jährliche Flächenverlust in Afrika (5,3 Millionen Hektar), gefolgt von Südamerika (3,4 Millionen Hektar) und Asien (2,4 Millionen Hektar). (3) Die größten, noch geschlossenen Waldgebiete liegen in Brasilien, der Demokratischen Republik Kongo und Indonesien. Sie beherbergen gleichzeitig die bedeutendsten, vom World Wide Fund For Nature (WWF) ausgewiesenen “Megadiversitätsgebiete” mit großer Artenvielfalt.

Während in Südamerika und Afrika relativ große Regenwaldgebiete voraussichtlich noch einige Jahrzehnte überstehen werden, wird Indonesien wahrscheinlich in zehn Jahren nur noch kleine Urwaldflächen aufweisen. Gefahr droht aber auch Brasilien und dem Kongo. Die Entwaldung Brasiliens nahm 2002 gegenüber den Vorjahren deutlich zu. Die Regierung verfolgt ein großes Infrastrukturprogramm, das die Wälder zunehmend bedroht. Im Kongo will die Weltbank, die 2002 ihre Richtlinien zum Schutz von Urwäldern gelockert hat, die groß angelegte kommerzielle Holznutzung fördern.

Die Bedeutung der tropischen Wälder

Rund 300 Millionen Menschen leben in Waldgebieten der Tropen. Wälder liefern Wasser, Holz und Nahrung, stabilisieren das Klima und schützen vor Überschwemmungen. Viele ihrer Bewohner nutzen eine Fülle von Nichtholzprodukten wie Heilpflanzen, Werkstoffe und Früchte.

Wälder der Tropen beherbergen etwa zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten der Welt, von denen bisher etwa 1,75 Millionen Arten beschrieben wurden. Die tatsächliche Zahl wird auf 10 bis 100 Millionen geschätzt. Zwischen 10 und 50 Prozent der in diesen Lebensräumen beheimateten Arten sind bereits ausgestorben.

Tropische Wälder und ihre Böden sind enorme Speicher von Kohlenstoff. Weltweit geht etwa ein Fünftel der Kohlendioxidemissionen auf die menschliche Landnutzung und Entwaldung zurück. Ein dramatisches Beispiel waren die Brände von 1997/98 in Indonesien, von denen zehn Millionen Hektar Wald betroffen waren. Dabei wurden enorme Mengen Kohlendioxid freigesetzt, die überwiegend aus Feuern in Torfwäldern stammten (4). Klimaforscher befürchten, dass die globale Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten zur Austrocknung tropischer Waldökosysteme führt und ihre Funktion als Kohlenstoffspeicher verloren geht.

Was zerstört Wälder?

Die Ursachen für die Zerstörung der tropischen Wälder sind vielfältig und greifen komplex ineinander, teilweise verstärken sie sich gegenseitig. Unmittelbare Eingriffe, die zum Rückgang der Wälder führen sind die Umwandlung in landwirtschaftliche Flächen, etwa für Palmöl, Soja, Kaffee, Kakao, Kautschuk oder Viehhaltung, der industrielle Holzeinschlag, Landwirtschaft zur Eigenversorgung (Wanderfeldbau) und Brennholznutzung, die Förderung von Rohstoffen (Erdöl, Gas und Erze) sowie der Ausbau der Infrastruktur. Jedes Jahr werden in den Tropen knapp zwei Millionen Hektar neue Plantagen angelegt, die Hälfte davon durch Umwandlung von Waldgebieten. Auch die Vernichtung kostbarer Mangrovenwälder für Garnelenzuchtanlagen dauert an.

Als Hauptursache für den Rückgang der Wälder wird häufig die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Verbindung mit dem hohen Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern genannt. Vordergründig trifft dies auf einige Länder zu. Es wird dabei aber übersehen, dass dieser Effekt meist auf politisches Versagen bei der Armutsbekämpfung zurückzuführen ist und die Kolonisation bisher unberührter Waldgebiete als soziales Ventil indirekt oder direkt gefördert wird. Außerdem nehmen die Kleinbauern die landwirtschaftliche Nutzung vielerorts erst auf, nachdem zuvor unzugängliche Waldgebiete durch industrielle Aktivitäten erschlossen wurden.

Es fehlt aber auch am politischen Willen der Regierungen, etwas gegen die Zerstörung der tropischen Wälder zu unternehmen: Korruption und die Missachtung von Gesetzen und Schutzgebietsgrenzen ist weit verbreitet. Missachtet werden dabei auch die traditionellen Landrechte der lokalen Bevölkerung.

Globalisierung erreicht Tropenwälder.

Die Mobilität von Kapital und Konzernen vereinfacht es, in Südostasien große Regenwaldgebiete in Öl- und Akazienplantagen umzuwandeln und den industriellen Holzeinschlag und Sojaanbau in Brasilien auszudehnen. So weiten global operierende Holzkonzerne ihre Aktivitäten schon seit Jahren ins Amazonasgebiet aus, wie zum Beispiel die malaysische Firma WTK, die in ihrem Ursprungsland eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat.

Die Industrieländer als mächtige Mitgliedsstaaten von Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Welthandelsorganisation (WTO) bürden den meisten Tropenländern weiter die ökologischen und sozialen Folgen einer Finanz- und Wirtschaftspolitik auf, die allein den Freihandel fördert, jegliche Regulierung schwächt und die Schuldenkrise verschärft. Soja, Ölpalmen, Akazien und Eukalyptus, Papier und Tierfutter wachsen auf ehemaligen Regenwaldflächen und werden für den Weltmarkt, insbesondere für die industrialisierten Länder produziert.

Totalschaden für Sumatras Regenwald

Besonders schlimm ist die Lage derzeit in Indonesien. Mehr als zwei Millionen Hektar Wald gehen pro Jahr verloren – auch in Schutzgebieten. Vor allem die Holz-, Zellstoff- und Palmölindustrie treiben die Zerstörung voran. Der Holzverbrauch der Industrie ist um das dreizehnfache höher als die vom Forstminister genehmigte Menge. So schätzt die Weltbank, dass der Tieflandregenwald auf Sumatra 2005 und in Kalimantan 2010 weitgehend vernichtet sein wird. Mit Milliardenkrediten aus westlichen Ländern wurde Indonesien innerhalb weniger Jahre zu einem der zehn größten Zellstoffproduzenten der Welt. Zwischen 1988 und 2000 wurden etwa 120 Millionen Kubikmeter Holz zu Zellstoff verarbeitet, wovon nur zehn Prozent aus Plantagen stammten. Allein die Konzerne APP und APRIL verbrauchen in der Provinz Riau auf Sumatra jährlich rund zwölf Millionen Kubikmeter Holz aus Naturwäldern. APP erhielt auch Kredite von mehreren deutschen Banken und profitierte von Hermesbürgschaften der Bundesregierung, von denen 660 Millionen Euro ausstehen. Der Konzern ist mit 14 Milliarden Dollar verschuldet, ein Umschuldungsverfahren dauert noch an.

Eine Hauptursache für den unkontrollierten Holzeinschlag ist das Versagen der indonesischen Regierung: Kontrolle durch Behörden findet nicht statt beziehungsweise wird durch Korruption umgangen, bei vielen illegalen Holzgeschäften ist das Militär beteiligt. Fünf Ministerien und die Provinzen sind zuständig für die Wälder, was zu chaotischen Entscheidungsprozessen führt. Konzessionen werden vergeben, ohne die Landrechte der lokalen Bevölkerung und die ökologischen Folgen zu berücksichtigen. Auch innerhalb der Konzessionsgebiete verstoßen die Konzerne gegen die Gesetze: Wertvoller Wald wird übernutzt oder für die Umwandlung in Plantagen vollständig zerstört, Hänge und Uferzonen gerodet und geschützte Arten wie Ramin eingeschlagen. Ökologisch besonders katastrophal ist es, die sensiblen Torfwälder in Plantagen umzuwandeln – was APP und APRIL derzeit massiv vorantreiben.

Die Umweltzerstörung gefährdet das Überleben vor allem der ärmeren Teile der Bevölkerung, die noch unmittelbar auf saubere Flüsse und intakte Wälder an­gewie­sen sind. Sie beklagen, dass sie durch Landraub und Umweltverschmutzung ihre traditionellen Lebensgrundlagen verloren haben und daher gezwungen sind, sich am illegalen Holzeinschlag zu beteiligen. Das indonesische Umweltforum Walhi, unterstützt von Umweltgruppen aus aller Welt, fordert ein Moratorium für den industriellen Holzeinschlag in Indonesien, solange eine kontrollierte Nutzung der Wälder nicht gewährleistet ist. (5)

Der Schutz tropischer Wälder

Wichtige Ansätze zum Schutz tropischer Wälder gehen auf die Rio-Konferenz zurück, so etwa die Ergebnisse der Rio-Konferenz – die Agenda 21, die Walderklärung sowie die Konventionen zu Klima und biologischer Vielfalt. Internationale Diskussionsprozesse zum Schutz der Wälder, etwa des United Nations Forum on Forests erbrachten zwar teilweise wertvolle Analysen, aber nur unverbindliche Aktionsvorschläge. Durch die Konferenzen zur Biodiversitäts-Konvention (CBD) wurden die Bemühungen für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung natürlicher Wälder sowie die Anerkennung der Rechte ihrer Bewohner politisch gestärkt. Verbindliche Regelungen für die gerechte Gewinnaufteilung für Medikamente und andere Produkte, die ihren Ursprung in den Tropenwäldern haben, stehen aber aus, weshalb Entwicklungsländer den Industriestaaten Bio-Piraterie vorwerfen.

Auf der jüngsten Konferenz zur CBD im Februar in Kuala Lumpur verständigten sich die Teilnehmer auf die Einrichtung eines weltweiten Schutzgebietssystems bis 2010, um das Artensterben deutlich zu vermindern. Ob Finanzierung und Umsetzung gelingen, bleibt angesichts fehlender Verbindlichkeit dieses Ziels offen. Schutzgebiete, bisher auf knapp einem Zehntel der weltweiten Landfläche ausgewiesen, sind eine der wichtigsten Maßnahmen zur Erhaltung von natürlichen Ökosystemen. Besonders dringlich ist der absolute Schutz der so genannten “Hotspots” der Artenvielfalt, die nur 1,4 Prozent der Landfläche einnehmen, aber 44 Prozent aller Pflanzen und 35 Prozent der Wirbeltiere beherbergen. 

Auch der Schutz des Klimas ist von großer Bedeutung. Das Kyoto-Protokoll birgt jedoch auch Gefahren: Es sieht keine konkreten Maßnahmen zum Schutz von Primärwäldern vor, erlaubt aber die Anrechnung von Plantagen als Kohlenstoffspeicher. Plantagen binden den Kohlenstoff jedoch nicht dauerhaft. Wenn durch die Anlage von Plantagen die lokale Bevölkerung und ihre ursprünglichen Landnutzungen verdrängt werden, kann der Druck auf andere Waldgebiete ansteigen. Außerdem ist bisher nicht sichergestellt, dass Naturwälder nicht in Plantagen umgewandelt werden dürfen.

Zertifizierung – kein Allheilmittel

Der wohl am meisten überschätzte Ansatz zur Rettung der Wälder ist die Zertifizierung, da diese nicht die notwendige staatliche Regulierung zum Schutz der Wälder ersetzen kann. Bisher sind 3,2 Prozent der globalen Waldfläche nach verschiedenen Systemen zertifiziert. Gerade in Staaten wie Indonesien, in denen die Rechte der indigenen Völker und die Einhaltung von forstlichen Bestimmungen nicht gewährleistet sind, kann eine Zertifizierung derzeit nicht gelingen. Einzig das Zertifikat des Forest Stewardship Council (FSC) wird weltweit von den meisten Nichtregierungsorganisationen anerkannt. Seit dem Jahr 2000 werden aber weit mehr Flächen nach anderen, schwächeren Standards zertifiziert, die nicht geeignet sind, den Schutz von Urwäldern und die Landrechte der Waldbewohner zu garantieren (Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes PEFC, Malaysian Timber Certification Council MTCC).

Holzprodukte aus Raubbau in den Tropen werden in industrialisierte Länder verkauft: Auch hier sind gesetzliche Maßnahmen längst überfällig. Ein wichtiger Fortschritt wäre, dass die öffentliche Beschaffung in Deutschland auf die Standards des FSC umstellen würde. Obwohl 2002 von den Regierungsparteien im Koalitionsvertrag vereinbart, ist dieser Schritt noch immer nicht umgesetzt. Im Mai 2003 stellte die Europäische Kommission den EU-Aktionsplan Forest Law Enforcement, Governance and Trade (FLEGT) vor. Zentrales Anliegen ist die freiwillige Zusammenarbeit mit Staaten, die Holz illegalen Ursprungs in die EU liefern. Diese Länder sollen Unterstützung beim Aufbau von Lizenzierungssystemen erhalten, um den Handel mit illegalem Holz zu verhindern. Umweltorganisationen reicht das nicht. Sie fordern gesetzliche Schritte, um Geschäfte mit illegalem Holz zu sanktionieren, da nur so dem kriminellen Handel Einhalt geboten werden kann.

Der Schutz erfordert mehr globale Gerechtigkeit

Die tiefer liegenden Ursachen für die Zerstörung der tropischen Wälder liegen im ungerechten Weltwirtschaftssystem, das den meisten Tropenländern keine wirksame Armutsbekämpfung erlaubt und sie zum Ausverkauf ihrer natürlichen Ressourcen zwingt. Der Tropenwald verschwindet am schnellsten in Ländern, die hoch verschuldet sind und unter extremer Armut leiden. Sie brauchen einen wirksamen Schuldenerlass und mehr Unterstützung aus den Industriestaaten für die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen.

Costa Rica etwa konnte im Gegensatz zu seinen mittelamerikanischen Nachbarn in den vergangenen Jahrzehnten Krieg und extremer Armut vorbeugen und ist heute eines der wenigen Länder, das seine letzten Regenwälder wirksam schützt. Über eine Million Touristen brachten 2001 Einnahmen von 1,3 Milliarden US-Dollar in das Land. Der Präsident von Costa Rica Abel Pacheco de la Espriella erklärte 2002: "Wir werden uns behaupten, ohne unsere Natur zu zerstören. Bevor wir eine Öl-Enklave werden, bevor wir ein Land voller Bergbauschäden werden, werde ich Costa Rica mit nachhaltigen Schritten in eine ökologische Macht verwandeln. Das wirkliche Öl und das wirkliche Gold der Zukunft sind Wasser und saubere Luft."

Literatur

(1) FAO (2001): State of the world´s forests 2001, Rome

(2) Matthews, E. et al. (2000): Pilot Analysis of Global Ecosystems – Forest Ecosystems, World Resources Institute, Washington.

(3) Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (2001), Gesamtwaldbericht der Bundesregierung, Bonn.

(4) Spektrum der Wissenschaft (2004), Brennende Regenwälder, Heidelberg.

(5) Wieting, Jens (2004): APP, APRIL und das Ende des Regenwaldes in Sumatras Provinz Riau, Ergebnisse einer ROBIN WOOD-Recherche, Hamburg. www.robinwood.de/sumatrarecherche

Zwischen Baum und Borke stecke ich, wenn ich gefragt werde, ob es auch in Hundert Jahren noch tropische Urwälder, Tiger und Orang-Utans geben wird. Ich verbreite gerne Optimismus, muss jedoch ehrlicherweise antworten: nicht in dieser Welt. Aber eine andere Welt ist möglich!

Zum Autor

Jens Wieting, geb. 1969, ist Dipl.-Landschaftsplaner und arbeitet seit 2002 im Tropenwaldreferat von Robin Wood. Er war in der Entwicklungszusammenarbeit in Projekten zum Schutz des Regenwaldes in Zentralamerika tätig und Mitarbeiter in einem Berliner Planungsbüro

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Jens Wieting
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