TAZ, 7. Februar 1998

Monarchfalter - Tourismus in Naturschutzzonen

Jens Wieting

Seit 1986 besteht das Biosphärenreservat "Mariposa Monarca" mit einer Gesamtfläche von 16.110 Hektar und einer Kernzone von 4.000 Hektar. Die Monarchfalter überwintern in Kolonien von bis zu zwanzig Millionen Individuen. Man findet sie in insgesamt elf Gebieten der Bundesstaaten Mexiko und Michoacán. Neben dem Schutzgebiet Sierra el Campanario ist auf Drängen der Einwohner der Region auch die Sierra Chincua nördlich von Angangueo für den Tourismus geöffnet worden. Die Bevölkerung des strukturschwachen Gebiets hofft auf neue Einnahmequellen durch die Entwicklung eines solchen Ökotourismus.

Im Einzugsbereich des Reservats leben rund 400.000 Menschen. Viele Familien sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Schätzungsweise die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung verdient weniger als den offiziellen Mindestlohn, der etwa 100 US- Dollar im Monat beträgt. Von dem Naturschauspiel, das der Monarchfalter bietet, profitieren allerdings nur wenige. In der Sierra el Campanario, die in der letzten Saison von etwa hunderttausend Touristen besucht wurde, arbeiten 260 Einheimische als Führer, in der Verwaltung oder als Aufsichtspersonal.

Armut und fehlende Alternativen führen zur Übernutzung der natürlichen Ressourcen. So gehen die Waldflächen durch illegalen Holzeinschlag, den Landbedarf für Siedlungen und Landwirtschaft, Rohstoffabbau der Industrie, Schädlingsbefall, unangepaßte forstliche Nutzung und Korruption weiter zurück.

Der Monarchfalter richtet sich bei der Belegung seines Winterquartiers nicht nach den Reservatsgrenzen. Der Lebensraum des Schmetterlings umfaßt rund 300. 000 Hektar Wald, von denen nur ein geringer Teil geschützt ist. Die Forderungen der Bevölkerung nach mehr Tourismusförderung in diesen Gebieten gefährden jedoch den Schutzzweck des Reservats.

Nur wenn es fürderhin gelingen wird, mit dem Naturschutz vereinbarte Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen und dadurch die Armut zu verringern, können die Lebensräume der Menschen, aber auch die des Monarchfalters für die Zukunft erhalten bleiben. 

Das Reservat der Falter

Millionen Schmetterlinge überwintern in den Bergen in der Nähe des Molochs Mexiko-Stadt. Trotz des Besucherandrangs an Wochenenden hört man ihr Flattern 

Luftverschmutzung, Lärm und das Zusammenleben von über zwanzig Millionen Menschen auf engem Raum machen das Dasein in Mexiko-Stadt zur Tortur. Doch genügt ein Tag zwischen November und März, um ein weltweit einmaliges Naturgeschehen abseits des Molochs zu erleben. In diesem Zeitraum bevölkert der Monarchfalter zu Millionen die Tannenwälder Sierra el Campanario, unweit von Mexiko-Stadt. Schon wenige Kilometer vor dem Ziel schaukeln einzelne Monarchfalter im Wind, orange-schwarzweiß vor dem blauen Himmel. 

Am Zugang zum Reservat angekommen, wird man mit den Auswüchsen des Ökotourismus konfrontiert. Der Weg führt zunächst durch einen Schlauch von Andenkenbuden zum Einlaß des Reservats. Nach dem kleinen Informationsgebäude mit der Kasse kann man trotz des Andrangs an den Wochenenden eine wunderbare Landschaft erleben. In der Sierra Campanario bilden hochgewachsene Tannen einen offenen Bestand, der viel Einblick in die Tiefe und in die Höhe des Waldes gewährt und auch Farnen und blühenden Sträuchern Raum gibt. 

Der Monarchfalter benötigt ältere Baumbestände, deren Dichte nicht mehr als vierhundert Bäume je Hektar beträgt. In den sonnendurchfluteten und windstillen südlichen Hängen nehmen die Schmetterlinge mit Hilfe ihrer Flügel die Wärme der Sonne auf. Sobald sie eine Körpertemperatur von 16 Grad Celsius erreicht haben, begeben sie sich in die Luft. Je weiter man dem aufsteigenden Weg folgt, desto mehr Monarchfalter sind zu sehen, erst Dutzende, dann Hunderte, bald darauf Tausende. Am Boden liegen tote Schmetterlinge. Rund die Hälfte aller Monarchfalter überlebt den Winter in Mexiko nicht und fällt der Kälte zum Opfer. Die übrigen tanzen in der Sonne oder bedecken die Tannen mit einem ockerfarbenen Schleier, der den Wald verzaubert. Ganze Baumgruppen sind so mit Faltern behangen, daß sie Herbstlaub zu tragen scheinen. 

Wo der Rundweg an seinem höchsten Punkt wieder zum Eingang zurückführt, führt eine Abzweigung vom Hauptweg weg. Menschliche Stimmen sind kaum noch zu vernehmen. Eine leichte Brise verursacht ein Knarren in den alten Bäumen. Darüber hinaus ist nur ein einziges Geräusch zu hören, nur hier in der Stille, das millionenfache Flattern von Schmetterlingsflügeln. 

Das Biospärenreservat "Mariposa Monarca" liegt in der Sierra el Campanario. Von Mexiko-Stadt aus fährt man westlich Richtung Toluca. Von dort über Zitacuaro nach Ocampo. Eine unbefestigte Straße führt nach El Rosario und zum Reservat.