TAZ, 10.10.2006

Tempo-Tücher aus umstrittenem
Stoff
Die Umweltorganisation Robin
Wood blockierte gestern die Tempo-Taschentuch-Fabrik von Procter & Gamble in
Neuss. Der Rohstoff Eukalyptus werde in Brasilien auf Plantagen gewonnen, die
die einheimischen Indianer für sich beanspruchen
Von Jens Wieting
Aktivisten der Umweltorganisation Robin
Wood haben gestern die Zufahrt zur Procter-&-Gamble-Fabrik im
nordrhein-westfälischen Neuss blockiert. Ihre Aktion richtete sich gegen das
Geschäft mit dem Zellstoffkonzern Aracruz in Brasilien, der einen großen Teil
des Rohstoffes für Marken-Hygieneartikel wie "Tempo"- Taschentücher
und "Charmin"-Toilettenpapier liefert. Aracruz, einer der größten
Zellstoffhersteller weltweit, hat im Süden Brasiliens mehr als 250.000 Hektar
Eukalyptusplantagen angelegt. 11.000 Hektar Land stehen laut der Indianerbehörde
Funai den Indianerstämmen der Tupinikim und Guarani zu.
Aracruz weigert sich jedoch, das Land zurückzugeben,
und hat Widerspruch beim brasilianischen Justizminister eingelegt, der das
letzte Wort hat. Robin Wood will mit seiner Aktion erreichen, dass Procter &
Gamble auf Lieferungen von Aracruz verzichtet, bis der Konzern den Indianern ihr
Land zurückgibt. Heute findet die Hauptversammlung von Procter & Gamble in
den USA statt. "Die Firma erwirtschaftet ihre Gewinne auf Kosten der
Indianer in Brasilien. Das ist ein großes Unrecht. Es wird dem Image des
Unternehmens erheblich schaden", sagt Peter Gerhardt, Tropenwaldreferent
bei Robin Wood.
Aracruz begann mit der Zellstoffproduktion
im südlichen Bundesstaat Espirito Santo in den 60er-Jahren, als in Brasilien
eine Militärdiktatur herrschte und die Indianer praktisch rechtlos waren. Für
die Schaffung von Plantagen wurden viele Einheimische ohne Besitzpapiere von
ihrem Land vertrieben und große Flächen des atlantischen Küstenregenwaldes
gerodet. Im Mai 2005 hatten Indianer das ihnen zustehende Land inmitten der
Eukalyptusplantagen markiert und zwei ihrer ehemaligen Dörfer wieder aufgebaut.
Im Januar erwirkte Aracruz bei Gericht den Räumungsbefehl. 120
Bundespolizisten, begleitet von Hubschraubern und schwerem Gerät, zerstörten
die indianischen Siedlungen. Mehrere Indianer wurden durch Gummigeschosse
verletzt. "Sie massakrierten uns schon in der Zeit der Kolonisation vor 500
Jahren. Jetzt jagen sie uns wieder," so Paulo Vicente de Oliveira,
Vorsitzender des Häuptlingrats der Tupinikim.
Der Konzern Aracruz sieht sich dagegen im
Recht. "Die Indianer haben auf diesem Land gar nicht als Gemeinschaft
gelebt. Sie konnten also nicht vertrieben werden", so Carlos Roxo,
Aracruz-Direktor für Nachhaltigkeit. Auf der Webseite von Procter & Gamble
heißt es: "P & G bedauert die Eskalation des Streites und
die Gewalt sehr, da wir gehofft hatten, dass beide Seiten die Geduld aufbringen,
die in Kürze bevorstehende Entscheidung der zuständigen Institutionen in
Brasilien abzuwarten. Wir werden unsere weitere Vorgehensweise vom Ausgang
dieser Entscheidung abhängig machen." Eukalyptus-Zellstoff verleiht
Papiertaschentüchern und Toiletten-Papier die Flauschigkeit. Ein Drittel des
weltweiten Bedarfs wird durch Aracruz gedeckt. Allein in Neuss werden täglich
mehr als sieben Millionen Päckchen Taschentücher produziert.
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